Montag, 4. Juli 2016

Anmerkungen zu ECTOPHASIA CRASSIPENNIS, einer wenig bekannten Fliegen-Art aus der Dipteren-Familie TACHINIDAE in der ortsrandnahen Entomofauna Weilmünsters im Spätsommer 2016

Dipl Biol. Peter Ulrich Zanger, CID Institut Weilmünster, 16. September 2016




Ectophasia crassipennis, Frontansicht
Weilmünster, Wiese an der Lorbeerkrone, 18. September 2016



"... Dipteren" ! Dipteren, also Fliegen, sind die Insektengruppe, deren Fehlen in entomologischen Bestandsaufnahmen selten bemängelt oder bedauert wird. Dies liegt wohl zum Einen in der mythologischen Problembehaftung dieser Insektenordnung begründet, deren Vertreter "NUR über 1 Flügelpaar verfügen und deren Hinterflügel zu flugstabilisierenden ´SCHWINGKÖLBCHEN´ reduziert sind", und zum Zweiten in der Tatsache, dass Entomologen, die sich trauen ihr Interesse an Fliegen-Spezies offen zuzugeben schnell mit dem Ruch belastet sind, daß sie sich den Habitaten und Vermehrungsorten annähern, an welchen Fliegen und ihre Kinderstuben zu finden sind.

Der Volksmund hat die Fliegen schwer gestraft bzw. mit dem Ruf belegt, sie seien Gehilfen oder Werkzeug des Teufels, derselbst den Beinamen "Herr der Fliegen" führt. Die Wissenschaftler, welche seit dem Mittelalter auszogen um mit ihren Forschungen die Wurzeln religiöser Mythen zu ergründen und die zumeist wirren und von Schauergemälden begleiteten Phantasiegespinste zu entkräften und auf naturwissenschaftliche Füsse zu stellen, fanden daraufhin nicht selten, dass die untersuchten Fliegenarten gefährliche Krankheitsüberträger, schmerzhaft stechende Lästlinge, Parasiten und extrem hässliche Vertreter der Insektenordnung seien. Diese neuerlichen aber nun naturwissenschaftlich fundierten Schauergemälde standen den religiösen Feindbildern um nichts nach und führten zur allgemeinen Überzeugung, dass man die Herrschaft über die Fliegen wohl doch besser dem Teufel überlassen solle.

Nun "frisst der Teufel in der Not Fliegen" und ist - immer aus Sicht der Fliegen -  somit ein nicht weniger riskanter Partner als die alljährlich "Bacillus thuringiensis"-Granulat über den Altrhein-Armen des Naturschutzgebietes Kühkopf versprühenden Helikopter der hessischen Stechmückenbekämpfungsprogramme, mit welchen die Mückenlarvenpopulation in den stehenden Gewässern dezimiert, wenn nicht gar ausgerottet werden sollen. Und selbst Fliegen zugeneigte Biologen müssen zugeben, dass sie bei der Annäherung von schmerzhaft stechenden Aedes-Moskitos, die Nachtruhe störenden Stubenfliegen oder ätzend aussehenden Sarcophagiden auf dem frisch vom Grill genommenen Barbecue-Steak schon mal die ansonsten kompromisslos praktizierten ethischen Regeln zur Respektierung und Bewahrung von Leben und Unversehrtheit aller Lebewesen  beiseite legen. So bliebe den Fliegen eigentlich kein anderer Weg zur besseren Selbstdarstellung als eine selbstbestimmte "Imageing"-Kampagne oder die Eröffnung eines Facebook-Accounts.

Kinderherzen schlagen sofort höher, wenn sie eine geliebte Maya-Biene, eine liebe Libelle oder einen bunt herumflatternden Schmetterling erblicken. Dies könnte bei Fliegen eigentlich ähnlich sein, denn mit Ausnahme der bereits oben zitierten Sarcophagiden, Stubenfliegen und Stechmücken sind viele wenn nicht sogar die meisten der Dipteren-Arten ausgesprochen schön geformte und gezeichnete Insekten, ausgestattet mit wundersamen Formen und Fähigkeiten, mit überraschenden und beeindruckenden Flugfähigkeiten und mit Lebens und Vermehrungszyklen, die sie zu wertvollen und unverzichtbaren Bestandteilen der Natur und der Bewahrung des natürlichen Gleichgewichtes werden lassen - vorausgesetzt, man überwindet die mythologische Stigmatisierung und erlernt die Kunst der Annäherung an die zumeist sehr kleinen und sehr schnell weiterfliegenden Insekten.

Insbesondere auf dem letzterwähnten Aspekt der Funktion als Nützlinge soll die nun folgende Betrachtung einer Fliegenart aus der Dipteren-Familie der TACHINIDAE (Raupenfliegen) Bezug nehmen, welche in den Monaten August und September als Besucherinnen von weissen Doldenblütlern auf den ortsrandnahen Wiesen von Weilmünster zu beobachten sind.

Die Raupenfliegen Tachinidae zählen zu den ökonomisch wichtigsten Fliegenfamilien, denn die in dieser systematischen Gruppe zusammengefassten Arten sind ausnahmslos Entomophagen, das heißt, ihre Larven ernähren sich von anderen Insekten, zumeist von Schmetterlingslarven. Ihre natürliche Präsenz verhindert die übermäßige Zunahme von Agrarschädlingen wie beispielsweise Kohleule und Frostspanner und trägt somit zur Bewahrung des gesunden, natürlichen Gleichgewichtes und der Vermeidung bzw. Ersparnis des Einsatzes von Schädlingsbekämpfungsmitteln bei. Weltweit sind ca. 8000 Tachiniden-Arten registriert, in Mitteleuropa etwa 500, doch ist die Systematik der Raupenfliegen noch weitgehend unklar und umstritten, so dass exakte Zuordnungen bisweilen schwierig bleiben. Tachiniden-Spezies werden zu Zwecken der biologischen Schädlingsbekämpfung künstlich vermehrt und sind in Regionen mit erhöhtem Vorkommen ihrer Wirtsinsekten schon mit registrierbarem Erfolg freigelassen worden, doch scheint die allgemeine Förderung der Nahrungspflanzen ihrer adulten Stadien, welche oft an sogenannten Ackerunkräutern Nektar aufnehmen, die langfristig erfolgversprechendere Methode zur Garantie stabiler Vorkommen dieser Acker-, Wiesen und Obstbaum-Nützlinge zu sein.

Tachiniden legen ihre Eier zumeist an den Nahrungspflanzen ihrer Wirtsinsekten ab, so dass die Schmetterlingsraupen dann die Fliegeneier beim Blattfrass aufnehmen. Bisweilen erfolgt die Eiablage auch direkt auf dem Zielinsekt (Wanzen, Käfer, Heuschrecken) oder es werden Fliegenlarven nahe oder auf der Schmetterlingsraupe abgelegt, die dann in die Raupe eindringen.  Die Fliegenlarve entwickelt sich im Wirtsinsekt, was den Tod des Wirtes zur Folge hat. Bei Übervermehrungen eines Agrarschädlinges vermehren sich somit parallel auch die Entomophagen, die sich vom Schädling ernähren und bewirken so das baldige Wiedereinpendeln der Schadinsekten-Massenvermehrung auf die gesunde, natürliche Bestandsdichte, vorausgesetzt die Nektarpflanzen der aus den Schädlingslarven schlüpfenden, erwachsenen Fliegen sind ebenfalls vorhanden. Daher ist die Förderung von Ackerrandstreifen mit diversen Wildkräutern, Ackerbrachen mit Ackerunkräutern, Wildwiesen und Waldrandvegetation für die Bewahrung der natürlichen Ökosystemstabilität, die Einsätze von Schädlingsbekämpfungsmitteln unnötig macht, von großer Wichtigkeit.

Ähnlich wie die zweite, wichtigste Entomophagen-Nützlingsgruppe, die Schlupfwespen, sind Tachniden meist sehr klein und daher fast unsichtbar. Zudem reagieren sie sehr scheu auf menschliche Annäherung und verfügen über ausgezeichnet gute und schnelle Flugfähigkeiten, was dazu beiträgt, dass sich bisher nur wenige Spezialisten mit dieser Artengruppe beschäftigt haben und sowohl die detaillierte Kenntnis der Biologie der einzelnen Arten als auch deren systematische Zuordnung noch wenig festgeschrieben sind. Mit Beginn des Aufbaues fotografisch-entomologischer Bilddatenbanken  im Internet ist zudem ein neuer Rahmen für die Biosystematik entstanden, innerhalb dessen eine hohe Formendiversität bei den erstmals nur per Abbildung dargestellten Insektenarten zu beobachten ist, ein Faktum das bei den bisherigen, fast nur schriftlichen und mit wenig  bzw. nur einzelnen, exemplarischen Illustrationen versehenen, taxonomischen Beschreibungen nicht zu berücksichtigen war. So findet man in den Sammlungen der Abbildungen der Tachninde Ectophasia crassipennis fotografisch dargestellte Individuen, die sich in Größe, Zeichnung, Färbung und anderen morphologischen Merkmalen zwar ähneln, aber auch unterscheiden. Somit bliebe desweiteren die Frage zu beantworten, ob die Fliegen-Spezies durch große, morphologische Diversität und Wandelbarkeit ausgestattet ist oder ob es sich bei den mangels detaillierter Bestimmungsliteratur einer Art zugeordneten Fliegen tatsächlich um mehrere unterschiedliche Fliegenarten handelt.

In der Gattung Ectophasia sind bisher 22 Arten wissenschaftlich benannt worden. Derzeit am bekanntesten ist die auch mit einem deutschen Artnamen bezeichnete BREITFLÜGLIGE RAUPENFLIEGE Ectophasia crassipennis, deren Körpermerkmale allerdings als so variabel beschrieben und zudem schwer von Ectophasia-Arten mit ähnlichem Aussehen (z.B.: Ectophasia oblonga) zu unterscheiden sind, daß die 100% sichere Bestimmung alleine anhand fotografischer, im Gelände aufgenommener Bestandsnachweise auf den ersten Blick hin schwierig erscheint.



Die Raupenfliege (Tachinide) Ectophasia crassipennis
in typischer Körperhaltung mit schräg aufwärts nach hinten aufgestellten Flügeln
bei der Nektaraufnahme auf einer Doldenblüte am 15. September 2016


Dabei scheint die auffällige, farbintensive und attraktive Körperzeichnung auf den ersten Blick hin eine Unverwechselbarkeit der beobachteten Fliegenart zu garantieren. Das in Aufsicht betrachtete, fast kreisrunde Abdomen ist leuchtend hellorange gefärbt und entlang der Mittelachse in Längsrichtung von einem mehr oder weniger breiten, schwarzen Farbstreifen durchzogen. Das Abdomen ist seitlich zunehmend zum Rande hin mit kurzen, schwarzen Borsten stark stachelig behaart. Die Flügel erscheinen Pergamentpapier-artig mit pastellfarbener weißlich-gelblich bis dunkelbraun gebänderter Färbung und wenig transparent. der Thorax ist hell-rostrotbraun mit schwach erkennbaren, parallelen Längsbändern und schütter kurz behaart. Die großen Augen sind dunkel-Menninge-rot und die Kopfvorderseite zwischen den Augen gelb bis weißlichgelb. Die Beine sind ebenso wie der Thorax weitgehend hell-rotbraun.






Die Raupenfliege (Tachinide) Ectophasia crassipennis

mit ihren typischen Körpermerkmalen Abdominalzeichnung, Flügelfärbung, Flügelhaltung und Körperfarbe auf einer Doldenblüte am 15. und 18. September 2016







Bei eingehenderem Studium der Art findet man nun Angaben zur Variabilität beispielsweise der Abdominalzeichnung und -Färbung, welche von orange-gelb bis bräunlich und schwarz tendieren kann, so dass das schwarze Längsstreifenmuster nicht mehr erkennbar wäre. Zudem ist durch den beschriebenen Sexualdimorphismus, insbesondere den transparenten und nicht farbgebänderten Flügeln der Weibchen die gleichzeitige Ähnlichkeit derselben zu und Verwechselbarkeit mit der Tachniniden-Species Tachina fera (Igelfliege) begründet, welche allerdings kräftiger ausgebildete Fühler besitzt als Ectophasia crassipennis und deren Abdominalborsten länger bzw. stachliger erscheinen.




Die Raupenfliege (Tachinide) Tachina fera (Igel-Fliege) mit auf den ersten Blick höchst verwechselbarer Ähnlichkeit zu den Weibchen von Ectophasia crassipennisderen Flügel nicht pergamentartig und pastellfarben gebändert erscheinen sondern transparent sind am 9. September 2015 am Weilmünsterer Ortsrand auf Doldenblüte.




Zudem sind bei mehreren der zwischen dem 8. und 15. September auf einer Wiese am nordwestlichen Ortsrande Weilmünsters beobachteten und fotografisch registrierten Exemplaren von Ectophasia auf deren letzten 4 Abdominalsegmenten in den orange gefärbten Oberseiten farblich abgesetzte, schräg nach hinten breiter werdende Flächen zu erkennen, die dunkelorange bis weisslich gefärbt sind.









2 Ectophasia crassipennis Exemplare mit helleren oder dunkleren, schräg zulaufenden Farbteilflächen in der orangegelben Zeichnung der letzten 4 Abdominalsegmente. Beim zweiten, abgebildeten Exemplar entsteht der Eindruck von auf dem Abdomen transportierten, weisslich-gelben Eipaketen.
8. September 2016.



Handelte es sich bei den auf der letzten Abbildung sichtbaren weisslich-gelben Schrägflächen am orangen Abdomenrand tatsächlich um Eier von Ectophasia, dann wäre unter der Voraussetzung, dass Ectophasia-Weibchen transparente Flügel hätten, das abgebildete Tier ein Männchen.

Nun ist von anderen Arthropodenarten bekannt, dass sie zur aktiven Verlagerung von Pigmenten in ihrem Körperinneren in der Lage sind und so in kürzester Zeit ihre Körperfärbung und Farbmusterung verändern können. Diese Anpassungen sind vermutlich auch abhängig von der Körpertemperatur und der UV-Strahlungsintensität sowie dem Lichteinfallswinkel. Berühmtestes Beispiel ist in diesem Zusammenhang die Veränderliche Krabbenspinne, Misumena vatia. Es gibt wenig Anlass, behaupten zu müssen, Dipteren wären nicht in der Lage gewesen, ähnliche Fähigkeiten zu entwickeln. Dies würde allerdings zur Schlussfolgerung führen, daß die Biosystematik, die sich an morphologischen Merkmalen wie Körperfärbung und Farbmusterung orientiert, vor der schwierigen Aufgabe stünde, bereits getroffene Artenzuordnungen zum Beispiel von Schwebfliegen der Gattung Eristalis relativieren und den chamaeleonartigen Farbveränderungsfähigkeiten von Tieren anpassen zu müssen. Eine schwierige und nicht leicht zu bewältigende Aufgabe für die Zukunft.





Ectophasia-Individuum mit abweichender Körperfärbung und Zeichnungsmuster als vorangehend als arttypisch beschrieben.
15. September 2016



Ectophasia crassipennis am 18. September 2016.
Das Farbzeichnungsmuster der Abdomen-Oberseite gibt Anlaß zur Vermutung, dass die Tachinide zur Verlagerung von Farbpigmenten in ihrem Körperinnern fähig ist und somit variable Erscheinungsformen in Bezug auf das Abdomenzeichnungsmuster einnehmen kann.














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